Saisonrückblick 2019

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Rückblick auf ein Jahr(zehnt)

Der Galopprennsport darf wohl für eine der ältesten und mit Sicherheit traditionsreichsten Sportarten gelten. Dennoch hat er sich mit der Zeit immer wieder verändert. Seit knapp 20 Jahren bin ich nun Galoppertrainer, die Hälfte davon, das letzte Jahrzehnt, verbrachte ich in Iffezheim. Einige der in dieses Jahrzehnt fallenden Veränderungen möchte ich im Folgenden thematisieren.

Eine der wesentlichen Neuerungen ist bestimmt die endgültige Ankunft des Internets im Galopprennsport. Früher wurde per Fax genannt und man bekam endlos lange Nennungslisten zurück gefaxt; Papier über Papier.
Inzwischen werden in allen Ländern die Trainingslisten nur noch übers Internet geführt. Jeder Trainer erhält für diverse Länder und ihre Direktorien einen eigenen Trainer Account. Über diese Accounts werden sämtliche Nennungen, Vorstarter und Starterangaben abgegeben. Über Smartphones und Tablets können mehr oder weniger alle früher ans Büro gebundenen Arbeiten mittlerweile von unterwegs aus erledigt werden. Rennen sind auf der Autobahn live mitzuerfolgen (selbstverständlich nur als Beifahrer). All das stellt eine enorme Bereicherung und Erleichterung dar.
Während man sich früher im Regelfall höchstens Videos von seinen eigenen Siegen erwarb, ist inzwischen jedes Rennen übers Netz beliebig oft abrufbar. Bei den heutigen Aufnahmen kann man gerade in Frankreich jede Bewegung der Jockeys beobachten, jeden Galoppsprung der Pferde analysieren. Während früher großteils nur Trainer ein Ausschreibungsbuch zugeschickt bekamen, sind inzwischen sämtliche Ausschreibungen übers Internet für jedermann zugänglich. Dadurch können sich Besitzer deutlich mehr in die Planung der Rennen einbringen als früher. Für manche ein Segen, für manche ein Fluch. Vielen Besitzern macht es jedenfalls Spaß und somit geben sie auch lieber ihr Geld für ein teures Hobby aus, als wenn sie sich nicht einbringen könnten. Früher musste man tatsächlich den Pferdepass per Post nach Köln schicken, ihn stempeln lassen und per Post wieder zurück schicken, um die nötige Schuldenfreiheit des Besitzers zu bestätigen, damit er im Ausland starten durfte. Deutlich flexibler wurde man auch dadurch, dass die heutige RCN (Racing Clearance Notification), der frühere Reugeldstempel, nicht mehr im Pferdepass eingetragen werden muss, sondern per Mail von einem Land zum anderen Land übermittelt wird.

Ganz aktuelle Themen sind der Klimawandel und damit eng verbunden die Umwelt, Autos und ihre Folgen für den Rennsport. Einer meiner langjährigsten Besitzer und Tierarzt Constantin Moll und ich waren bereits in meiner ersten Dekade als Trainer über die Wintermonate im Ausland.; um zu trainieren und zu laufen. Allerdings nicht in Frankreich an der Cote d?Azur in Cagnes sur Mer sondern auf einer anderen Seite des Mittelmeers, in der Toscana in Pisa. Zu einem Zeitpunkt, als in Italien der Rennsport noch blühte. Zu meinem großen Bedauern ist er im letzten Jahrzehnt verblüht. Damals waren die Winter solche, wie man sie bis vor ein paar Jahren noch kannte und wie sie für diese Jahreszeit typisch waren: mit Schnee, Eis und Frost. Um dem auszuweichen, floh man in wärmere Gefilde aus. Ich sprach kürzlich mit älteren Kollegen und bekam dabei bestätigt, dass an Training im Winter früher nicht zu denken war, höchstens im Tiefschnee. Auch im eher milden Iffezheim war das so. Durch die wärmeren Winter konnten wir die letzten Jahre nahezu durchtrainieren; das war zu Beginn meiner Iffzer Zeit definitiv nicht so. Für unsere Pferde und unser Training ist das natürlich ein Vorteil. Bessere Basisausdauer als die letzten Winter kann man sich nicht wünschen. Von Winterpause im ursprünglichen Sinn kann infolge dessen jedoch auch keine Rede mehr sein. Durch die PSF Bahnen in Frankreich wird während des ganze Jahres gelaufen. Betreuer der Rennbahnen bzw Trainierbahnen, Rennstallpersonal und Trainer haben dadurch das ganze Jahr über Hochsaison. Was positive und negative Seiten mit sich bringt.
Wenn man heutzutage einen Blick auf die Parkplätze der Pferdetransporter auf den nationalen wie internationalen Rennbahnen wirft, so sieht man dort im Gegensatz zu vor 10 Jahren kaum noch schwere, alte LKWs für 8, 10 oder mehr Pferde geparkt, sondern Großteils nur noch flexible, flotte Zwei-Pferdetransporter dort stehen.

Im Reit-, Dressur- und Springsport aber auch im Rennsport nehmen Frauen eine immer größere Rolle ein.In Frankreich bekommen Frauen inzwischen 1,5 Kilogramm Erlaubnis um eventuelle (physische) Nachteile zu kompensieren. Auch in Deutschland ist dies ein immer größer werdendes Thema, vielleicht gibt es ab 2020 dafür auch in Deutschland eine Regelung wie in Frankreich.

Seit meiner Zeit in Iffezheim und somit dem letzten Jahrzehnt wurden in Deutschland einige Bahnen ersatzlos gesperrt: Bremen, Frankfurt, Gotha und nun auch Neuss sollen dabei erwähnt sein. Die tragenden Persönlichkeiten des Galopprennsports erkennen wohl die prekäre Lage, ein wirkliches Gegenmittel zu dieser Entwicklung wurde jedoch noch nicht gefunden. Durch die Schließung haben wir weniger Renntage, weniger Rennen und somit weniger Rennpreisvolumen als vor 10 Jahren. Besitzer, Trainer, Jockeys erhalten dadurch weniger Einnahmen, bei gleichzeitig aber steigenden Kosten.
Ich musste bereits einmal miterleben, wie der Rennsport eines Landes zu Grabe getragen wurde. Ich hoffe mir ist keiner böse wenn ich bemerke, dass unsere aktuelle Entwicklung mich sehr stark an die in Österreich stattgefundene erinnert. Auch damals meinte man den Rennsport retten zu können, indem alles zu Lasten der Besitzer erfolgt. Ich will hier nicht schwarz malen, aber ich hoffe dass alle Warnsignale, deren es mittlerweile genügend gab, empfangen wurden und endlich agiert wird.

Unsere immer weniger werdenden Besitzer sollten nicht weiterhin mehr und mehr zur Kasse gebeten werden und immer höhere Kosten, wie sie auch immer betitelt werden, zu tragen haben um ein Rennpferd halten zu können. Während zeitgleich die Züchterprämien erhöht wurden. Das bekanntlich ohne Erfolg: die Anzahl der Züchter und der Zuchtprodukte ist trotz höherer Prämien gesunken. Aus meiner Sicht ist die Zucht inzwischen nur noch etwas für die ganz "Großen"; für die, die Jährlinge auf den Auktionen für gutes Geld (vielfach ins Ausland) verkaufen können. Kleine und mittlere Besitzer und Trainer aus Deutschland bekommen von der Jährlingsauktion doch kaum mehr etwas ab. Oder eben für Züchter, die für den Eigenbedarf züchten. Die kleinen Züchter, die auf der Herbstauktion verkaufen wollen, sind doch großteils defizitär unterwegs. Um es jetzt extrem darzustellen: ohne Züchter wird es in Deutschland weiterhin Rennen geben, Pferde können auch im Ausland erworben werden. Ohne Besitzer gibt es hingegen keine Rennen mehr.
Die jährlichen Abgaben ans Direktorium werden immer höher. Auch wenn diese an die Rennvereine weitergeleitet werden, tragen müssen sie die Besitzer. Ich glaube spätestens jetzt ist ein Punkt erreicht, an dem man mit den Kosten nicht weiter hinauf gehen darf.
Deswegen sollte man aus meiner Sicht die Züchterprämien senken und das dabei gesparte Geld dafür aufwenden, die Besitzer zu entlasten und die Rennpreise im nächsten Schritt zu erhöhen. Indirekt würden von einer solchen Maßnahme schließlich auch die Züchter wieder profitieren.
Darauf lege ich viel Wert.

Ein weiteres in den letzten Jahren im Rennsport aktuell gewordenes Thema sind die Sandbahnen, auf denen wir trainieren. In den Medien wurde zuletzt viel von der Kölner Sandbahn berichtet, aber wie sehen denn die anderen Sandbahnen in Deutschland aus? Auch bezüglich unserer Sandbahnen in Iffezheim hagelt es seit geraumer Zeit Kritik und das sicherlich mehr als berechtigt. Geld aus einer Sache zu lukrieren, ohne im Gegenzug bereit zu sein, davon etwas zu reinvestieren wird auf Dauer zu Lasten der Pferde, Besitzer und Trainer gehen. Lange geht soetwas nicht gut.
Zu meiner großen Freude haben wir in Iffezheim noch immer Stallbesitzer, die selber eine Renovierung bzw. Sanierung wünschen und (vor)finanzieren würden.
Als ich ich nach Iffezheim gekommen bin, war der berühmte Internationale Club gerade insolvent geworden. Da es noch keine Nachfolger gab, fiel das Frühjahrs Meeting aus. Dann trat Baden Racing als hochmotivierte Gesellschaft auf. Was ist nach rund einer Dekade davon übrig geblieben? Der Ruhm und Glanz der Rennbahn Iffezheim, in der Nähe von Baden-Baden geht aus meiner Sicht zusehends verloren.

Nun aber zum Rückblick auf das konkrete vergangene Jahr. Die meisten Leser dieses Rückblicks lesen unsere Seite ohnehin regelmäßig, eine Auflistung der Erfolge und Misserfolge des Jahres erschien mir daher nicht sinnvoll. Kritik an uns selbst haben wir, denke ich, auch hinlänglich geübt. Ein paar positive Tage, die hauptsächlich aus dem ersten Teil der Saison 2019 stammen, sollen aber schon noch Erwähnung finden.
Für uns waren die positiven Highlights des Jahres: die Viererserie in Zweibrücken, an einem Tag, an dem einfach alles gelang und Gott sei Dank die ganze Familie live dabei war als Eva ihren 50. Sieg errang und damit den Titel Jockey erwarb. Mein 300. Karrieretreffer in Wissembourg mit Kopaonik. Ein Heimsieg ist natürlich auch immer was Feines, Hallo Wien sorgte heuer während des Oktobermeetings für einen solchen. Im Oktober und November wurden erfreulicherweise viele Pferde in gute Hände abgegeben.
Gleichzeitig bekam ich eine Rekordzahl an Jährlingen aus verschiedensten Ländern auch mit neuen Besitzern in den Stall. Darunter scheinen einige sehr hoffnungsvolle Pferde zu sein. Ich freue mich darauf, sie in ihrer Entwicklung beobachten zu dürfen und vor allem sie zu trainieren. Klar täte uns ein Crack a la Tres Rock Danon, Sanjii Danon oder Wonderful Görl wieder gut, aber leider wachsen die nicht auf den Bäumen. Mit so treuen guten Besitzern, wie wir sie haben, bin ich jedoch sehr optimistisch, dieses so wichtige Ziel zu erreichen.

Das der Rennsport aber auch ganz schnell zur Randerscheinung werden kann, hat uns Ende des Jahres der Tod von Hans Hülsenbeck, einer der tragenden Säulen des Stalles, wie ich ihn immer nannte, gezeigt.

Uns als Rennsportfamilie insgesamt bleibt nur zu hoffen, das wir durch unser Wissen über die aktuelle Lage im Rennsport die richtigen Schlüsse ziehen und die richtigen Schritte einleiten, um im nächsten Jahrzehnt wieder besser da zu stehen.

Wir würden uns über Leserbriefe zu den hier erörterten Themen sehr freuen und sie auf Wunsch auch auf unserer Seite veröffentlichen.

Leserbrief

Lieber Gerald!

Du hast versucht den Niedergang im Deutschen Galopprennsport zu erklären und auf Fehler der Verantwortlichen hinzuweisen.
Vorab, den Todesstoß für den kleinen aber doch netten, lebendigen Sport in Österreich, das war zweifellos "Frank" Stronach. Die Parallele besteht nur in der Gewinnorientierung Stronachs, der meinte, eine Rennbahn müsse Profit abwerfen. Ein Bruchteil der Investitionen, die in Ebreichsdorf getätigt worden waren, hätten in der Freudenau einen blühenden Sport ermöglicht. Darüber sind sich alle Kenner der Verhältnisse von damals einig!

Die tiefgreifenden Strukturprobleme in Deutschland sehe ich als Folge einer wirtschaftlichen Gesamtentwicklung zu deregulierten Märkten und einem ungesunden Gewinnstreben, das dieser Ideologie innewohnt. Dazu noch politische Entscheidungen im Steuerbereich, die dem Sport geschadet haben.
Die nun Jahrzehnte anhaltende wirtschaftliche Entwicklung hat den sog. Mittelstand in Deutschland ausgedünnt. Eine Schicht, die für die Ausbildung der Breite im Galopprennsport nach dem Krieg gesorgt hatte und aus der deine Besitzer kommen. Die Digitalisierung und das Internet ermöglichen privaten Anbietern einen großen Teil der Wetteinnahmen abzuschöpfen und damit Einnahmen der Vereine zu schmälern. Zuletzt, glaube ich, will man dagegen mit eigenen Wettanbietern ankämpfen. Hilfreich wäre eine Monopolisierung der Pferdewetten zum Vorteil des Rennsports. Das wiederrum wird vermutlich das neoliberal ausgerichtete EU-Recht nicht zulassen.

Geht man noch ein Stück zurück in die Entstehungsgeschichte des Galopprennsports, dann sieht man wie Galopprennen entstanden sind und wie damals die Gesellschaft strukturiert war. Der Adel in England und später auch in Frankreich ließ deren Pferde gegeneinander laufen. Das waren jene, die reich waren, von den Einnahmen ihres Grundbesitzes und der Kolonien gelebt haben ohne selber arbeiten zu müssen. Mittelstand, wie wir ihn heute noch kennen, gab es nicht. Züchten und einen Rennstall betreiben war die klassische Konstellation der Teilnehmer. Der Rennpreis hatte dabei zumeist untergeordnete Bedeutung. Im Gegensatz zu Wettgewinnen.
Heute haben sich die Verhältnisse auch in diesen Ländern gewandelt. Selbst das Königshaus, vormals einer der bedeutendsten Züchter und Besitzer, betreibt heute nur einen relativ kleinen Rennstall. Dafür betraten die arabischen Scheichs seit den 70er Jahren des 20. Jh. in England und Frankreich die Bühne und ersetzten den sich zurückziehenden Adel. Die Scheichs ähneln aber in ihrer Grundeinstellung den Protagonisten des 18. u. 19Jh. Ihre Einstellung zu Rennpferden und zu edler Zucht kann man durchaus gut vergleichen. Ihre finanziellen Möglichkeiten sind natürlich noch weit höher einzuschätzen.

Die wetttechnischen Gegebenheiten in Frankreich mit der PMU und in England dürften für die Einkünfte der Rennvereine auch hilfreicher sein, als das in Deutschland der Fall ist.

Das als Ergänzung zu deinen Ausführungen.

Richard

Starter


Montag, 02. Dezember
Lyon La Soie
1.R.
Vizindi
2.R.
Aerion
Kontakt: An der Rennbahn 8-9, 76473 Iffezheim | Tel: +49/(0)176/ 205 70 115 | Email: gerald.geisler@gmx.de